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Die Aktualität des Außenseiters
von Katalin Kemény
Wie Nietzsche entstammt Bèla Hamvas einer protestantischen Pastorenfamilie. Die Kindheit verbringt er in Preßburg (Pozsony, Bratislava), einer hochkultivierten Stadt, die damals noch zu
Ungarn gehörte. Die idyllischen Jahre in Schule und Familie enden mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges, als er gleich nach dem Abitur als Freiwilliger an die russische Front kommt. Hier erlebt er
seine erste und zugleich entscheidende Erschütterung: Er sieht die Kluft zwischen der ideellen und der realen Welt. Mit einem Nervenzusammenbruch kehrt er heim. Im Frieden von Trianon wird Preßburg der
Tschechoslowakei angeschlossen, er muß mit den Seinen flüchten. An der Budapester UniÂversität setzt er seine literarischen, philosophiÂschen und musikwissenschaftlichen Studien fort. Einige Jahre
arbeitet er notgedrungen als Journalist, dann in der hauptstädtischen Bibliothek, wo er Gelegen- heit hat, den Buchbestand seinen eigenen universellen Interessen entsprechend - auf einen hohen Stand zu
heben.
Zwischen den Dreißiger Jahren und 1945 veröffentlicht er rund dreihundert Artikel in Zeit- schriften. Die idyllische Stimmung seiner Essays und Studien erinnert an Thoreau, seine Klarsicht
an A. Huxley, die leidenschaftliche Wahrheits-suche an Kierkegaard. In drei grundlegenden Studien beschäftigt er sich - anders als die damalige Krisenliteratur - nicht mit der Politik der europäischen
Zivilisation, Wirtschaft und Kunst, also nicht mit Teilerscheinungen, sondern er deckt im Auseinanderdriften von Sein und Lebenspraxis die ontologische GrundÂlage der Krise auf. Nicht weniger bedeutend
ist sein Essayband A lÃ&xnbsp;thatatlan törtènet (Das unÂsichtbare Geschehnis) aus den vierziger Jahren, in dem er durch das Sichtbare hindurch zum wahren Geschehnis zu gelangen versucht. Ein feinfühliger
Analytiker zählt den Band zu den,,schönsten Blättern europäischer denkender Literatur".
Im Zweiten Weltkrieg wird Hamvas als Reserveoffizier mehrmals einberufen und dient an der russischen Front. Nach der Heimkehr begeht er Fahnenflucht, um der Kollaboration der ungarischen
Armee mit der SS zu entgehen. Bombenangriffe während der Belagerung von Budapest zerstören sein Haus mitsamt der Bibliothek und seinen Manuskripten.
Trotz dieses Rückschlags löst die Befreiung von den Deutschen bei ihm große Erleichterung aus; mit frischer Arbeitslust stellt er eine Anthologie und eine Buchreihe zusammen. Bei
der kommunistischen Machtergreifung verliert er seine Stellung in der Bibliothek. Sein Buch über die moderne Kunst ist groben Angriffen des kommu- nistischen Ideologen Georg LukÃ&xnbsp;cs ausÂgesetzt. Die
Folge ist, daß er auf die Liste der verbotenen Autoren kommt. Um schlimÂmeren politischen VerfolgunÂgen zu entgehen, siedelt er ohne seine Familie in die Provinz über, wo er als HilfsarbeiÂter in
einem Kraftwerk tätig ist. Obwohl er viel schreibt, wird von ihm bis zu seinem Tode 1968 nur eine kurze Schrift veröffentlicht.
Nicht allein in Ungarn, sondern in ganz Osteuropa ist er der einzige Vertreter des in dieÂsem Jahrhundert im Westen zum Teil verbreiteÂten ,,Traditionalismus". Doch es besteht ein
entÂscheidender Unterschied: Wie sein Meister J. Böhme erwartet er die Wiederherstellung der Ganzheit unseres Seins nicht von der AssimilieÂrung östlicher Lehren oder der Wiederbelebung von im Laufe
der Geschichte entstandenen Hierarchien, sondern von der Realisierung der ChristÂlichkeit auf dem Boden der Evangelien, die ,,Öffnung zum Dasein als Ganzes und ontologische Grundhaltung aller
Ãœberlieferung".
Sein großangelegter Roman Karneval ist eigentlich eine Apokalypse des 20. Jahrhunderts' nach Bela Hamvas dessen ,,Schicksalskatalog". Sein Held, ein Kind ,,des
zehntausendhäuÂtigen Geistes", umrundet nicht nur den Erdkreis, er gelangt bis ins Jenseits, wo er seine zehntausend Masken aufsetzt und ablegt, um so seinen echten Namen zu finden - sein Ich.
In seinen Essays verÂhalf Hamvas mit dem MaßÂstab der Tradition, dem Humor des Wissens und der mit diesem Humor geschenkten Freiheit dem ungarischen Essay zu einem Platz in der
Weltliteratur.
(Gekürzte Fassung des Nachwortes zu dem in deutscher Sprache erschienen Band Bela Hamvas: Silentium-Ausgewählte Essays -, Edition M' München 1999, ISBN 3-928190-07-5 in
der Übersetzung von Jörg Buschmann)
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