STATEMENT Der ungarische Roman KARNEVAL von Bèla Hamvas (sprich: Hamwasch) muss endlich übersetzt werden! Es ist nicht hinzunehmen, dass dem deutschsprachigen Lesepublikum die Orientierung im Jenseits kollektiv verwehrt bleibt. Vom Diesseits ganz zu schweigen.                                       Die Ãœbersetzer

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Zur Unterstützung der Herausgabe lesen aus  KARNEVAL

Die Verdoppelung Jürgen Flimm     In der Patsche Klaus Zehelein   Das tote Kind Hans Kremer &  Martina Schiesser RI Claus Huebner  Miedersache Harald Maack, Felix Grassmann,  Melanie    Kretschmann, Martina   Schiesser  Gesichter  Gabor  Altorjay

Die Aktualität des Außenseiters

von Katalin Kemény

Wie Nietzsche entstammt Bèla Hamvas einer protestantischen Pastorenfamilie. Die Kindheit verbringt er in Preßburg (Pozsony, Bratislava), einer hochkultivierten Stadt, die damals noch zu Ungarn gehörte. Die idyllischen Jahre in Schule und Familie enden mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges, als er gleich nach dem Abitur als Freiwilliger an die russische Front kommt. Hier erlebt er seine erste und zugleich entscheidende Erschütterung: Er sieht die Kluft zwischen der ideellen und der realen Welt. Mit einem Nervenzusammenbruch kehrt er heim. Im Frieden von Trianon wird Preßburg der Tschechoslowakei angeschlossen, er muß mit den Seinen flüchten. An der Budapester Uni­versität setzt er seine literarischen, philosophi­schen und musikwissenschaftlichen Studien fort. Einige Jahre arbeitet er notgedrungen als Journalist, dann in der hauptstädtischen Bibliothek, wo er Gelegen- heit hat, den Buchbestand seinen eigenen universellen Interessen entsprechend - auf einen hohen Stand zu heben.

Zwischen den Dreißiger Jahren und 1945 veröffentlicht er rund dreihundert Artikel in Zeit- schriften. Die idyllische Stimmung seiner Essays und Studien erinnert an Thoreau, seine Klarsicht an A. Huxley, die leidenschaftliche Wahrheits-suche an Kierkegaard. In drei grundlegenden Studien beschäftigt er sich - anders als die damalige Krisenliteratur - nicht mit der Politik der europäischen Zivilisation, Wirtschaft und Kunst, also nicht mit Teilerscheinungen, sondern er deckt im Auseinanderdriften von Sein und Lebenspraxis die ontologische Grund­lage der Krise auf. Nicht weniger bedeutend ist sein Essayband A lÃ&xnbsp;thatatlan törtènet (Das un­sichtbare Geschehnis) aus den vierziger Jahren, in dem er durch das Sichtbare hindurch zum wahren Geschehnis zu gelangen versucht. Ein feinfühliger Analytiker zählt den Band zu den,,schönsten Blättern europäischer denkender Literatur".

Im Zweiten Weltkrieg wird Hamvas als Reserveoffizier mehrmals einberufen und dient an der russischen Front. Nach der Heimkehr begeht er Fahnenflucht, um der Kollaboration der ungarischen Armee mit der SS zu entgehen. Bombenangriffe während der Belagerung von Budapest zerstören sein Haus mitsamt der Bibliothek und seinen Manuskripten.

 Trotz dieses Rückschlags löst die Befreiung von den Deutschen bei ihm große Erleichterung aus; mit frischer Arbeitslust stellt er eine Anthologie und eine Buchreihe zusammen. Bei der kommunistischen Machtergreifung verliert er seine Stellung in der Bibliothek. Sein Buch über die moderne Kunst ist groben Angriffen des kommu- nistischen Ideologen Georg LukÃ&xnbsp;cs aus­gesetzt. Die Folge ist, daß er auf die Liste der verbotenen Autoren kommt. Um schlim­meren politischen Verfolgun­gen zu entgehen, siedelt er ohne seine Familie in die Provinz über, wo er als Hilfsarbei­ter in einem Kraftwerk tätig ist. Obwohl er viel schreibt, wird von ihm bis zu seinem Tode 1968 nur eine kurze Schrift veröffentlicht.

Nicht allein in Ungarn, sondern in ganz Osteuropa ist er der einzige Vertreter des in die­sem Jahrhundert im Westen zum Teil verbreite­ten ,,Traditionalismus". Doch es besteht ein ent­scheidender Unterschied: Wie sein Meister J. Böhme erwartet er die Wiederherstellung der Ganzheit unseres Seins nicht von der Assimilie­rung östlicher Lehren oder der Wiederbelebung von im Laufe der Geschichte entstandenen Hierarchien, sondern von der Realisierung der Christ­lichkeit auf dem Boden der Evangelien, die ,,Öffnung zum Dasein als Ganzes und ontologische Grundhaltung aller Überlieferung".

Sein  großangelegter Roman Karneval ist eigentlich eine Apokalypse des 20. Jahrhunderts' nach Bela Hamvas dessen ,,Schicksalskatalog". Sein Held, ein Kind ,,des zehntausendhäu­tigen Geistes", umrundet nicht nur den Erdkreis, er gelangt bis ins Jenseits, wo er seine zehntausend Masken aufsetzt und ablegt, um so seinen echten Namen zu finden - sein Ich.

In seinen Essays ver­half Hamvas mit dem Maß­stab der Tradition, dem Humor des Wissens und der mit diesem Humor geschenkten Freiheit dem ungarischen Essay zu einem Platz in der Weltliteratur.

(Gekürzte Fassung des Nachwortes zu dem in deutscher Sprache erschienen Band Bela Hamvas: Silentium-Ausgewählte Essays -, Edition M' München 1999, ISBN 3-928190-07-5 in der Übersetzung von Jörg Buschmann)